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Adolf Endler
Der Lampensammler
  Heft 29
 
»... und außerdem ist er ein ganz großer Lampensammler gewesen, wenigstens bis Mitte der Neunziger ...« – Die Rede ist von Malte Küchler; und, in der Tat: Wo Malte in den letzten dreißig Jahren seine »Zelte aufgeschlagen« hat, fand der Besucher sich alsbald in eine plappernde, manchmal auch verletzend schweigsame Familie jugendlicher und vergreister, quicklebendiger oder mausetoter Lampen-Gebilde »aufgenommen«, die Malte Küchler offensichtlich ebenso lieb und wert gewesen sind wie jeder Gast mit Menschen-Antlitz bzw. Schweine-Fresse.
   Jahre einer gravierenden psychischen Krise, möchte man denken, in solchem Gedankengang unterbrochen von dem anderen, kaum weniger stichhaltigen: Hat Malte Küchler vielleicht geglaubt, eines ferneren Tages mit all diesen Lampen, Lampions und Lampenschirmen sogenannte »Geschäfte« tätigen zu können? Es wird mir als einem alten Freund des »Lampenpapstes von Mitte« erlaubt sein, der feineren Variante den Vorzug zu geben: Mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit war Malte damals nichts anderem als dem so verbreiteten und nahe liegenden »Laster« des LICHTQUELLEN-FETISCHISMUS verfallen.
   Man muß es nur einmal erlebt haben, wie er mit seiner Lampenschirm-Schar, dieser Großfamilie unterschiedlichster »Generationen« der Haushalts- und Schlafzimmerlampen-Historie, zu plaudern, zu scherzen verstand, muß die Liebe, den Stolz und die Fürsorge miterlebt haben, die Maltes Gestik bestimmten, wenn er seine berüchtigte Lampen-Kollektion Stück für Stück und Kostbarkeit für Kostbarkeit dem Besucher vorzuweisen sich übermannt fand, einem guten und verantwortungsvollen Vater vielleicht der wilhelminischen Ära nicht unähnlich, welcher der Welt seine zwei-dutzend-köpfige Kinderschar präsentiert kurz vor dem nächsten Krieg.
   Andererseits empfand man sein Verhältnis zu den wenigen und oft schon ein wenig demolierten URALT-LAMPEN der nicht kleinen Lampen-Kommune als ein geradezu demutsvolles, von Verehrung und »Achtung vor dem Alter« bestimmt; das kam vor allem in seiner Beziehung zu einer eher abstoßenden und von zahllosen Rissen und Runzeln gezeichneten birnenförmigen Milchglas-Lampe zum Ausdruck, welche er »Mutter Schadhaft« zu nennen pflegte.
   Nun ja, es konnte einem in jenen Jahren zuweilen ganz schön unheimlich werden in Maltes Bude; Zeugen und vor allem Zeuginnen dafür finden sich fast in jeder Straße der Stadtbezirke Mitte und Prenzlauer Berg, darunter eine Dame, Gudrun Zingst geheißen, welche nach einer sogenannten »Nacht« mit Malte Küchler schreckensbleich im KEGLERHEIM erschien und nur noch stottern konnte: »D...die La...La...La...Lampen« – teilt sich das Stottern Gudruns dem Leser einigermaßen deutlich mit? –, »die...die... drei... Lampen... u...unter d...dem Bett! D...d...d...drei... Lei...Leichen sin’ det! B...be...b...bestimmt« (Dr. Kurt Mühle, sinnwidrig kommentierend: »Und das ist nun also aus Prometheus geworden ...«) Weshalb nicht?, ja, weshalb soll solches Unter-dem-Bett denn nicht der Lampenfriedhof gewesen sein für Malte Küchler?, obwohl es ihm selber vielleicht nie ganz bewußt geworden sein mag! Irgendwo mußten die Lampen ja bleiben – den Schuttplatz schloß die Pietät unseres Helden vollkommen aus –, wenn sie aufgehört hatten zu atmen und als »verstorben« abgebucht werden mußten, wenn auch in jedem Fall abgestempelt mit dem Namenszug MALTE KÜCHLER.
   Ja, die Abstemplungsmanie dieses seltsamen Mannes – eine weitere Seltsamkeit – muß im exzessiven Umgang mit seinen Lampen in besonderem Maße auf ihre Kosten gekommen sein. Kein einziger Lampenschirm in Maltes Wohnung mag damals dem Schicksal entgangen sein, mit einem Stempel als ewiges Eigentum Küchlers gekennzeichnet zu werden, ringsum die zerflatternde Menschheit, die zerbröselnde Welt, gekennzeichnet – und nicht auch als »Kinder Gottes« markiert? Einige meiner Freunde neigen zu der Hypothese, daß die Abstempelung so etwas wie Taufe oder Firmung bedeutet habe; und ich möchte ihnen beipflichten – und eine Gänsehaut läuft mir den Rücken hinunter –, wenn ich mir die zögernde Verzücktheit Malte Küchlers zu vergegenwärtigen versuche, mit der er z. B. vor einer Vielzahl klitzekleiner (bei einer Haushaltsauflösung erstandener) Lampen stand und versonnen murmelte: »Noch ungestempelt! Aber in zwei, drei Wochen sind sie so weit!« – Hat es irgendeine tiefere Bedeutung, blitzt es einem durchs Gehirn, daß sowohl die Vokabel »Lampe« als auch die andere »Stempel«, wenn man sie genauer beschaut und betastet, daß alle beide einem dieses stumpfe »p«, ja, mehr noch, die beunruhigende Buchstabenkombination »mpe« entgegenhalten wollen?
   PS.: Nicht nur die Lampen und anderes, auch seine Bücher hat Malte gründlichst per Stempel als Eigentum markiert: Sehen Sie hier z. B. das kaum genutzte Exemplar der Dostojewskischen AUFZEICHNUNGEN AUS EINEM TOTENHAUS, von dem Sammler und Stempler dem Verfasser als Geschenk überreicht, nachdem Malte Küchler in der DDR sieben Monate schuldlos »gesessen« hatte ... Und der Verfasser, eingedenk der schamhaft verschwiegenen Bildungslücke, beginnt zu lesen und liest etwa fünfzehn Minuten lang, bis er auf den herrscherlichen Stempel »Malte Küchler« stößt, eingestempelt der sechzehnten oder siebzehnten Seite und von nun an jeder zehnten. Um es zu wiederholen: Immer nach zehn Seiten springt einem der gestempelte Name »Malte Küchler« entgegen. Sie können sich denken, daß ich die AUFZEICHNUNGEN bis heute nicht zu Ende gelesen habe, ja, vermutlich bis ans Ende meines Lebens nicht mehr zur Hand nehmen werde, nein, ich kann es einfach nicht mehr!, Richard Leising würde mich verstehen ...
 
(Aus einem Notizbuch)
 
 
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1997 bis 2007 herausgegeben von Renatus Deckert und Birger Dölling · ISSN 1434-8306
© Lose Blätter und Autoren · Letzte Änderung: 26. Oktober 2017