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Nachrichten aus der DDR
Editorial
  Heft 21
 
Heimat – ein zweifelhafter Begriff des Deutschen, mit einem Bedeutungsfeld, das in anderen Sprachen seinesgleichen sucht. Meint er das Land, die Stadt, die Straßenzeile? Das politische Wesen oder die unpolitische Physis, Gebirge, Wald und Küste? Ist er überhaupt aus dem Gegebenen zu bestimmen? Oder sind Heimat die verlorenen Orte der Kindheit, die nie besessenen, ist Heimat immer dort, wo wir nicht sind, das, was wir nicht haben – ist Heimat Utopie?
   Kaum irgendwo tritt die Widersprüchlichkeit dieses Wortes deutlicher hervor als im Verhältnis zur DDR. Wir haben sie, neben anderen bezweifelten Heimaten, zum Thema unseres Heftes gemacht. Gehasste, geliebte Heimat DDR. Gibt es etwas zu lieben an dem Land, das um des neuen Menschenbildes willen Menschen einmauerte, notfalls sterben ließ „für die gerechte Sache“? Ist die Abstraktion vom Politischen, die das voraussetzen würde, akzeptabel, ist sie sogar notwendig, weil ohne Heimat kein Lebenssinn ist, weil die Angst vieler Ostdeutscher vor dem Untergang ihrer vertrauten Lebenswelt Verständnis braucht? Ist sie schließlich möglich, oder determiniert das Politische zwangsläufig die Heimat? Kann man das eine nicht ohne das andere haben?
   Da fällt das Hassen schon leichter. Die Nachrichten aus der DDR sind keine fröhlichen Erinnerungen. Drei Leute schreiben, die es wissen müssen.
   Reinhard Jirgl, geboren in Ostberlin. Er hat der DDR nicht viel zu danken. Nicht nur seine Trilogie Genealogie des Tötens, entstanden seit 1985, konnte nicht erscheinen, weil von »nichtmarxistischer Geschichtsauffassung«. Vor kurzem hat Hanser sie als Typoskript gebracht. Die Unvollendeten. Lebenslauf Erzählung ist für das nächste Frühjahr ebenfalls bei Hanser angekündigt. In dem erzählten Brief eines Arztes, nach der Wende – ein Kindheitstraum – Buchhändler, spürt Jirgl dieser Wendezeit nach und der eigenen Kindheit, noch geprägt von den Folgen von Flucht und Vertreibung, diesen so wichtigen deutschen Themen, die das lange Jahre in Ost und West nicht sein konnten oder durften. Wir bringen einen Auszug.
   Tom Schulz, geboren in Ostberlin. Er berichtet von einer Armee, in der zum militärischen Irrsinn der politische kam. Ein skurriles Gebilde in einem skurrilen Land – aber diese Skurrilität ist beängstigend und, anders als viele, keine literarische Fiktion.
   Ron Winkler, geboren in Jena. Die Auswürfe einer sozialistischen Losungsmaschine spießt er auf wie Schmetterlinge und gibt sie Heimleiter Ulbricht in Pflege. Dort mag der Staub der Geschichte sie bedecken.
Birger Dölling
 
 
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Ulrike Draesner · Adolf Endler · Wolfgang Hilbig · Silke Scheuermann · Lutz Seiler · Jan Wagner · Peter Weber · Ron Winkler · alle ...

1997 bis 2007 herausgegeben von Renatus Deckert und Birger Dölling · ISSN 1434 8306
© Lose Blätter und Autoren · Letzte Änderung: 26. Oktober 2017